Nicht nur zur Weihnachtszeit: Ein Jahr mit Salafisten

Kennen Sie diesen Mann? (Flickr (c) vince 42)

Kennen Sie diesen Mann? (Flickr (c) vince 42)

2012 – Wörter, die man dem Nullachtfuffzehn-Durchschnittsdenke-Journalist niemals hätte beibringen dürfen: „Salafisten“. Die Welt scheint um so vieles unerträglicher geworden zu sein, seit dieser Begriff (und die damit einhergehenden Ideen) der breiten Masse ins Gehirn geprokelt wurden. Nach „Migrationshintergrund“ ist „Salafisten“ auf jeden Fall eins meiner Lieblingshasswörter. Jedes Mal, wenn irgendwo irgendwer „Salafisten“ sagt oder schreibt, möchte ich am liebsten eine Kotztüte aufreißen.

Dass Menschen sich 2012 mit „Salafisten“ beschäftigen ist natürlich nix Schlimmes an sich. Es ist nur dann schlimm, wenn man die Dutzenden selbsternannten Orient- und Islamforscher_innen im eigenen Nah- und Fernfeld ertragen muss.  Islam- und Sonstwas-Experte kann man in Deutschland nämlich auch ohne entsprechende Ausbildung sein – vor allem, wenn man Journalist ist.

Ach, eigentlich reicht es schon, ein in Deutschland lebender Mensch zu sein, und schwupps, weiß man einfach wo der Hammer hängt. Nämlich hier: Islam blabla kein Martin Luther blabla keine Aufklärung blabla Mittelalter blabla GewaltGewaltGewalt Unterdrückung blabla. Ich kriege das auch immer wieder zu hören, da es genug noble Menschen gibt, die mich beim Denken unterstützen möchten.

Grad erst vor einigen Tagen, ich saß zuhause und aß diese Gummibären aus Bratapfelmatsch, die es grad beim Discounter gibt, wollte mir diesen furchtbar schlechten Ken-Follet-Vorweihnachtsmehrteiler im TV angucken, war aber dann doch so bescheuert einfach nochmal meinen WordPress-Account zu öffnen. Und da empfahl mir ein Leser doch glatt, mich mal mit der Situation der „pakistanischen Frauen in UK“ zu beschäftigen, da dort ja [–> setzen Sie hier was Beliebiges ein, wir alle werden mehr oder weniger dasselbe Klischee finden <–], und überhaupt, ich als Frau müsste das ja eh, weil ich wüsste wohl nicht, dass… Und so weiter.

Mir war das Ganze natürlich wie immer ziemlich backhanded untergeschoben worden: Grundlage war der Hinweis auf eine Studie, und der Artikel, der kommentiert wurde, handelte von Racial Profiling (ein Thema, für das sich  Journalisten hier natürlich viel weniger interessieren als zum Beispiel für: Salafisten). Dennoch, ich bin natürlich immer wieder dankbar, wenn mir informierte SUPER-Expert_innen beibringen möchten, was ich gefälligst zu denken und zu recherchieren hätte – auch, wenn sie in meinem Fall schon wissen, dass damit selbst Perlen vor die Säue besser investiert wären, diese armen Leuchter. Aber nun gut.

Und naja, da es dank Islamophobie heute eher ein bisschen unschick ist, da so arg auf Verdacht gegen „Muslime“ zu bashen, hat man mit „Salafisten“ nun die praktische Lösung gefunden: Weil man jetzt wieder einen Begriff hat, der all das beschreibt, was man zur Kultivierung der vermeintlichen eigenen Überlegenheit benötigt. „Salafisten“ ist irgendwie das neue Wort für „Muslime“, während hingegen „Migrationshintergrund“ irgendwie das neue Wort für „Ausländer“ ist.

Und sonst? Da gibt es zum Beispiel diesen feschen Typen, Jörg Diehl, der sich seit ein paar Tagen im SPIEGEL am Bonner Bombenalarm abarbeitet. Wir fassen nochmal zusammen: Eine Tasche, die gefunden wurde, ein Phantombild das hingekrakelt wurde, und dementsprechend die ersten Verdachtsvermutungen (Salafisten). Zwei Leute wurden auch verhaftet (vermutlich: Salafisten. Höhö.)

SPON (beziehungsweise: Jörg Diehl) war sich natürlich auch nicht peinlich genug, sowas wie eine Homestory über die beiden mutmaßlichen Verdächtigen zusammenzubasteln:

„Anfangs seien sie noch gemeinsam um die Häuser gezogen und auch mal ins Kino gegangen, doch dann habe sich O. zunehmend in sein Zimmer zurückgezogen, um auf seinem Laptop arabischsprachige DVDs anzuschauen. Und schließlich habe es den Moment gegeben, wo Michael O. gefragt hat, ob er „in die Terror-Ecke abgleitet“. „Ach, Michi“, antwortete O. nur.“

Die zwei Tatverdächtigen wurden inzwischen wieder freigelassen. Darüber berichtet ebenfalls SPON, aber dieses Mal natürlich nicht der Herr Diehl. „Polizei sucht diesen Salafisten!“, krakelt dafür aber die BILD-Zeitung heute. Ein Schelm wer dabei an das Schüren von Ressentiments denkt.

Natürlich ist es GLASKLAR, dass unsere Ordnungshüter aufgrund einer popeligen Phantomzeichnung sofort wissen, in welcher Szene sie Tatverdächtige suchen müssen. NATÜRLICH. Genauso wie es glasklar ist, was mit der NSU-Köchin Beate Zschäpe los ist, wenn das sächsische Innenministerium sie damals auf ihrem Handy angerufen… Oh. Wait.

(Und das Schlimmste ist, jede meiner Überlegungen da oben ist so alt wie zehn Jahre alter Analogkäse auf vergammelter Pizza, jede These so staubig wie ´ne Wollmaus unterm Bett, und trotzdem werden wieder einige Leute denken: „Jo, krass. Stimmt“. Und-genau-das, meine lieben Freunde, genau das ist das Problem an der ganzen Sache.)

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Nachtrag: Stunden später ergreift nun Herr Diehl nochmal das Wort. Dieses Mal so:

„Die Plakate, auf denen bislang das Phantombild eines Schwarzen zu sehen war, sollten nicht weiter verteilt werden, heißt es in einem Behördenschreiben. „Druckaufträge sind zu stoppen, da die Polizeiführung vermeiden möchte, später Fahndungen zurücknehmen zu müssen.“ Das Bundeskriminalamt werte nun die Videoaufnahmen aus der McDonald’s-Filiale aus.“

Und die Salafisten… sind erstmal verschwunden.

Getaggt mit , ,

12 Gedanken zu „Nicht nur zur Weihnachtszeit: Ein Jahr mit Salafisten

  1. Ken Takel sagt:

    Jo, krass. Stimmt!

  2. daMax sagt:

    Kiek ma, der Diehl ist jetzt noch nen Schritt weiter…
    http://todamax.kicks-ass.net/blog/2012/neues-vom-qualitaetsjournalismus-3/

    Inzwischen sind nämlich auch die „Zeugen“ verbrannt.

  3. cachedmemories sagt:

    Jo, klar Salafisten gibt es gar nicht. Terroristen auch nicht. Alles ne böse Verschwörung. Kriegen wir demnächst was darüber erzählt, wer *wirklich* hinter 9/11 steckt?

  4. […] Shehadistan wertet Nadia beispielhaft das mit „den Salafisten“ und der “Durchschnittsdenke von 0815-Journalisten“ aus. Und warum das BKA wieder beim […]

  5. tino sagt:

    Off Topic

    Das mit der Beate Z ist tatsächllich interessant. Habe ich vorher noch nirgends gelesen das sie anscheinden gewarnt wurde.

    Manchmal sind selbst feministische Blogs zu was nutze.

  6. AS sagt:

    Hmm… ich finde es aus unterschiedlichen Gründen eigentlich ganz gut, dass sich der Begriff Salafismus nach so vielen Jahren auch in den Medien durchgesetzt hat.

    Sonst wurde ausschließlich von „radikalen“ oder „gewaltbereiten“ Muslimen gesprochen, was Verallgemeinerungen Tür und Tor geöffnet hat.

    Beim Begriff „Salafisten“ denkt man nun eher an eine ziemlich bescheuerte Sekte oder Abspaltung des Islams, ein bisschen so wie Opus Dei und katholische Kirche. So kommt es mir jedenfalls vor. Dass die Medien im Salafismus nun ihr neues Schreckgespenst entdeckt haben, war aber vorhersehbar.

  7. kirschsaft_mit_vanille sagt:

    DANKE! ❤

  8. Tarek sagt:

    Die Salafisten stehen in der Gesellschaft mittlerweile als Sinnbild der Gewalt und des Hasses. Ich selber bin noch kein Opfer dieser Gruppierung geworden und habe sie eher als offene und diskussionsfreudige Menschen kennengelernt. Doch die Medien haben dieses Bild in meinem Kopf verworfen und das was ich empfinde, ist momentan Verachtung gegenüber diese Menschen, welche, wie es heißt, die Sicherheit in unserem Land gefährden tuen und urzeitliche Zustände heraufbeschwören möchten. Diese „islamische Armee Fraktion“ ist auf jeden Fall mit ein Grund, dass der Islam missverstanden wird und sollte demnach kein Teil unserer Gesellschaft sein.

    Hierzu ein passender Bericht über eine Sabatina James:

    Salafisten in Deutschland

  9. […] Schreiben und Recherchieren bezahlt werden, erwarten, dass sie all die deutschen Sharia-Polizisten, Salafisten-Anführer, all die angeklagten Marco S. und die Sven Laus und die konvertierten ISIS-Kämpfer mal […]

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