Kim Vegan Wonderland, oder: Was sie schon immer über Antifaschismus wissen wollten

Flickr (c) Max and Miles Hanley

Flickr (c) Max and Miles Hanley

Wie im Wunderland ging es tatsächlich rund ums Aufregerthema Kim Kalkowski in den letzten Tagen zu. Viele Fragen in Bezug auf die Nazi-Connections blieben offen, das Internet shitstormte als gäbe es kein Traffic-Morgen mehr, und dann, endlich, hat das Plastic Bomb Magazine sich erbarmt. Und einfach mal nachgefragt. Und dann? Erfuhren wir eine ganze Menge.

Über die Simpsons, Rechtsschutz-Versicherungen, den Sinn von Facebook-Fake-Profilen, das Leben in der Öffentlichkeit, viele wundersame Zufälle, “Damals, 2011″ und einen ominösen Ex-Freund. Um nur einige Beispiele zu nennen. Viruletta und ich haben also nochmal in dem Interview herumgestochert und den vorliegenden Text gemeinsam verfasst. Einfach, weil wir wiederholt fasziniert waren.

Tränendrüsig wird um die Ereignisse zu rekonstruieren erstmal der besagte Mittwoch der letzten Woche thematisiert: Der familiäre und finanzielle Sachstand wird dargelegt, es geht um massive Belastungen, aber Kim ist da auf jeden Fall noch guter Dinge – es geht schließlich nur um ein paar tausend Euro und nahestehende Menschen in sehr uncharmanten Lebenslagen. Doch, eine positive Lebenseinstellung soll jedem gegönnt sein. Denken wir, und lesen weiter.

Und dann erfahren wir, dass die wahre Erschütterung einsetzte, als Kim erfahren musste WAS für Freunde sie da DAMALS (dieses Wort wird übrigens im gesamten Interviewverlauf sehr häufig genutzt) auf dem ominösen Konzert und später auf Facebook eingesammelt hatte. Und dass es sich bei besagten Personen nicht nur um offensichtliche Nazis handelte, sondern bei einem der ZUFALLSBekanntschaften auch noch um einen Tättowierkünstler handelte, der, ha!…

Denn, es war ja so: Ihr Freund hat sich also ZUFÄLLIG in Italien auch noch bei diesem Nazitätowierer ein Tattoo stechen lassen, was ZUFÄLLIG auch von Nazis gern getragen wird, und zwar als er ZUFÄLLIG eine Freundin in einem 300km entfernten Kaff besucht hat. Und “spontan” diesen Termin gemacht hat.

Wie kann es sein, dass ihm die Brisanz des Tattoos entging? ”Er ist Tattoo-mäßig halt einfach gestrickt”, erklärt Kim. Was wäre, wenn er sich einen Braten auf die Pläze hätte pinseln lassen? Der Fall ist undurchsichtig, ganz klar. Das zeigt schon die Kalkowski`Sche Statusmeldung-Chronologie: Da ist ihr Freund im ersten Statement noch Anarcho, im zweiten dann plötzlich “unpolitisch”, und dann… verschwindet das erste Posting. Was lernen wir daraus? Auch Stricken will gelernt sein!

Und die Verwirrung geht weiter: All die anderen aufgestöberten Nazibekanntschaften sind so “oberflächlich”, dass sie trotzdem immerhin den Namen ihres Inkognito-Profils kennen, anstatt dass sie direkt auf den öffentlichen 5000-Freund*innen-Account verfrachtet werden. Was aber nachvollziehbar ist, da Kim den Leuten ja nicht gerne unter die Nase reibt, wer sie ist. Äh, ja… Aber. Schon mal ihren Namen gegoogelt?

“Also, das Profil erfüllt NICHT den Sinn, da meine liebsten Freunde  und privatesten Kontakte zu pflegen. (…) Als  ich das Profil gemacht hab, hab ich auch direkt ein paar Freunde aus meinem Umfeld geaddet, damit das nicht so leer ist, haha. Politische, antifaschistische Menschen, deren News ich auch gerne lese,  wenn ich auf  diesem Profil  bin, weil  ich wissen möchte, was die so machen.”

Zack, schnell erwähnt dass es auch einen Batzen antifaschistischer Freunde gibt, da lässt sich nämlich vielleicht auch dies eher leichter verdauen?: “Aber ihm geht’s da halt nicht um Nationalität/Nation, sondern um Herkunft,  Familie und so weiter, daher auch der „Pride“ Schriftzug.” Lasen wir, ohne dass sich uns jegliche Logik erschloss. Doch, der Pride-Schriftzug wird es am Ende vielleicht einfach so belegen, da der Freund ja wie wir nun wissen Tattoo-mäßig eher so einfach gestr… Wobei. Es geht um Familie. Und Herkunft. Herkunft: Was genau soll das nun sein?

Wir schlagen uns die Hände über dem Kopf zusammen und müssen festhalten, mit diesem Interview hat sich Kim keinen Gefallen getan. Wie kann man seit Jahren so im Rampenlicht stehen, ein Interview nach dem anderen geben, sich anwaltliche Beratung einholen, und dann bei so einem Interview so derbe verkacken? (Wie geht zum Beispiel sowas hier: ”In wiefern geht für dich folgende Gleichung auf: Menschen,  die sich selbst eine Öffentlichkeit geschaffen haben, bzw in der  Öffentlichkeit stehen, dürfen mit einer entsprechend breiten  Öffentlichkeit verrissen werden?” – “Zu dem Thema kam gestern ne super Simpsons-Folge.” Wie? Waruuum?)

Selbstreflexionsfaktor hart an der Nullgrenze, was das Problem Faschismus und Nazitum betrifft, obschon immerhin das Bewusstsein für “ist irgendwie uncool und geht eigentlich gar nicht” da ist. Trotzdem, es herrscht der Irrglaube vor, dass “das Böse” irgendwie ausgelagert ist, wenn man halt mal hier und da ein paar Flyer verteilt und sagt: “Super!” Ja, da kann man dann auch gerne mal ein rechtsoffenes oder gar rechtes Konzert besuchen, denn da passt der Karmaschnitt dann ja. Oder auch im privaten Umfeld Leuten nahestehen, die der rechten Szene einigermaßen oder auch sehr offen zugewandt scheinen – ohne da mal die harten Maßstäbe anzulegen, die man selbst so im Bereich Tierbefreiung fordern würde. Hauptsache, die Leute sind gegen Tierleid und Tier-Ausbeutung, Rest: Egal. Warum? Ist das einfach nur Male Gaze oder zweierlei Maß?

“Ich bin da mit meinem Geschäft und hab ne feste Vision: dass man mehr Leute gegen Tierleid sensibilisieren kann, wenn man sie informiert. Nicht mit dem Holzhammer, sondern wenn man zeigt, wie man Leid verhindert, was es für Alternativen gibt usw. Und das halt locker rüber bringt.”

Das ist schön. Durch Nazitum verursachtes Menschenleid scheint bei ihr aber nur eine höchst nachrangige Priorität zu sein. Das merkt man spätestens dann, wenn Kim ihre Bemühungen aufzählt, die sie ab sofort anstellen möchte um nicht nochmal einen ähnlich gelagerten Faux Pas hinzulegen:

“Ich möchte mich generell neuen Leuten gegenüber künftig sensibler und zurückhaltender zeigen, werde noch mehr auf Shirts und Tattoos achten und hab auch schon angefangen, mich selbst mal wieder auf den neuesten Stand zu bringen, was Faschobands, Symbole usw angeht. Und ich will mich auch mit so keltischen Symbolen mal genauer auseinander setzten, zumindest die, wo man kein nordischer Rollenspiel-Fan für sein muss. Was ich aber nicht machen werde, ist meinen Mund halten, weniger Interviews geben und weniger in der Öffentlichkeit machen.”

Was sollen wir dazu noch sagen? Natürlich sind die Schritte, die Kim unternimmt, wichtig. Es geht trotz NSU-Morden, Racial Profiling, neu aufkeimendem Antisemitismus, rassistischer Bestsellerliteratur in Deutschland und vielen anderen Missständen natürlich erstmal um Grundlagenbildung. Und zwar darum, zu erkennen, welche Tattoos noch modisch respektierlich und nicht mit Nazi-Symbolen zu verwechseln sind. Also,  Tätowier-Anthropologie. Das Grundwissen über den Rassismus. Erst dann  kann es weitergehen. Zudem das Ärgerliche an Rassismus und  Anti-Semitismus natürlich nicht ist, dass Menschen körperlich zu Schaden kommen können oder diskriminiert werden, sondern dass Geschäftsleute unter den schrecklichen Folgen von Rufmord leiden könnten. Doch allein, wie soll es nun weitergehen?

“Ist es nicht das wichtigste wie ich mich in den letzten Tagen positioniert und distanziert habe? Da habe ich Fehler zugegeben und vor allem klar gemacht das ich in Zukunft Personen  gegenüber kritischer bzw. aufmerksamer sein werde und mich klar distanziere. Mehr kann ich nicht tun.”

“Mehr kann ich nicht tun.” Doch, sagen wir, und zwar: Mehr Walkie, weniger Talkie. Aber, der Fairness halber muss man sagen, dass Kim natürlich da nicht die Einzige ist, die einem fetten Irrtum aufsitzt, wenn sie mit dieser Einstellung und diesen Lippenbekenntnissen glaubt, es gäbe dafür irgendwie Menschlichkeits- und Solidaritätspunkte zu gewinnen. Insofern ist dieser ganze Backe-Backe-Kuchen-Gate auch nicht mehr nur ein Einzelproblem, sondern insgesamt ein Symptom.

Antirassismus als Nebensache, als Nebenwiderspruch. Zu Kundgebungen quer durch`s Land, doch noch nicht mal auf ´ne Antira-Veranstaltung in der eigenen City gehen. Informationsarbeit: Auch nur so la la. Aber, Hauptsache den richtigen Button am Hemd. Tja. Manchmal kann man gar nicht so viel Kuchen essen wie man kotzen möchte.

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10 Gedanken zu „Kim Vegan Wonderland, oder: Was sie schon immer über Antifaschismus wissen wollten

  1. quasiabsolut sagt:

    Großartig. (Na ja, traurig, aber der Text und so.)
    Danke!

  2. Anonymiss sagt:

    TOP! TOP! DANKE!

  3. noise sagt:

    Manchmal kann man gar nicht so viel Torten fressen wie man kotzen möchte!

  4. Nemesis sagt:

    „Es gibt aber auch Leute die schreiben „ach Kim, ob du jetzt rechts oder links bist, is mir egal, ich kauf trotzdem meine Torten bei dir“ – die sind dafür nicht so sensibilisiert, ich will denen auch keine böse Absicht unterstellen…“ (Aus dem Plastic-Bomb Interview)

    Ich hätte erwartet, dass Kim zu (oder besser GEGEN) diesen Dumpfbacken eindeutig Position bezieht, aber da scheint sie die Kundschaft nicht vergraulen zu wollen. Gerade wenn es keine „böse Absicht“ ist, sondern „mangelnde Sensibiliät“, wäre eine eindeutige Positionierung von Kim wichtig, um diesen Leuten klar zu machen, dass es eben nicht egal ist. Es waren erschreckend viele, die das so sehen. Diese Kommentare haben mich an der ganzen Angelegenheit am meisten entsetzt.

  5. […] und ich haben auf Shehadistan am Beispiel von Kim VeganWonderland gemeinsam versucht zu erklären, warum Antifaschismus nicht nur daraus bestehen kann, […]

  6. johnny sagt:

    tres kurzweilig !

  7. Vegan Woman sagt:

    Danke für diesen großartigen Text!

  8. gähngähngähn sagt:

    gähn

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